Grafik:medio.tv/ Fricke
Gedanken zum Monatsspruch September 2024
Auf Gottes Nähe vertrauen
Im Abendmahl soll Gott gegenwärtig sein – je nach Ansicht direkt in Brot und Wein, im Herzen oder in der Erinnerung. Und sowieso spricht Jesus „wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20). In der Kirche, in Gottesdiensten, im Ritual und Gebet hoffe ich darauf, dass Gott mir dort irgendwie nahe ist. Ich rechne mit ihm und vertraue darauf, dass ich seine Nähe spüre. Doch wo ich mir Nähe wünsche, kann Ferne umso fürchterlicher wirken. Gott kann ich nicht einfach herzaubern – auch wenn ich das gerne könnte. Und ich muss mir sogar einer Gefahr bewusst sein: Gott kann sich mir entziehen. Gehe ich nämlich davon aus, dass sich Gott frei zur Welt, Kirche und uns Menschen verhalten kann, so kann er sich abwenden. Im Alten Testament wird das immer wieder thematisiert – so auch im Text für diesen Monatsspruch: „Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“ (Jer 23,23 (L))
Diese Worte sind eingebettet in einen Text, der schwer zu verdauen ist. Dort wird Gottes Nähe oder Ferne damit in Verbindung gebracht, was er auf der Welt und unter den Seinen erkennt – und das verspricht hier nichts Gutes: „Denn Propheten wie Priester sind ruchlos; auch in meinem Hause finde ich ihre Bosheit, spricht der HERR.“ (Jer 23,11). Auch wenn diese prophetischen Mahnworte zu der Zeit an die israelitische Führung gerichtet waren, so stellt sich mir doch die Frage, ob diese Worte nicht auch heute Realität werden können oder bereits geworden sind. Ob sein Nah-Sein oder eben sein Fern-Sein nicht auch heute mit dem im Zusammenhang stehen kann, was er bei uns sieht.
Unweigerlich muss ich an all die Taten und Übergriffe denken, die unter dem Denkmantel göttlicher Nähe und Zuneigung so viel menschliches Leid entstehen ließen. Unweigerlich muss ich an die Gottesferne denken, die Betroffene gespürt haben müssen. Und unweigerlich stellt sich mir der Gedanke ein, dass – wenn wir auf die Propheten-Worte hören – diese Handlungen Konsequenzen haben. Konsequenzen, die Gott zieht, wenn er Böses am Werke sieht.
Der prophetische Monatsspruch und Ergebnisse, wie die der ForuM-Studie zur sexualisierten Gewalt in Kirche und Diakonie, fordern uns zur Umkehr, zur Verantwortungsübernahme und zur Veränderung im Herzen und Handeln auf. Sie sprechen uns ins Gewissen und sie machen uns darauf aufmerksam, dass mit Gottes Präsenz immer auch der Auftrag verbunden ist, für gerechte Strukturen zu kämpfen.
Vikar Timo Janssen,
Kassel
https://www.ekkw.de/sexualisierte-gewalt/wo-finde-ich-hilfe
Sie suchen Hilfe und Beratung zum Thema sexualisierter Gewalt? Hier finden Sie verschiedene Anlaufstellen.